HAMBURGER SPORTBUND: PORTRAIT DER BOTSCHAFTERIN

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IN JEDES KIND WIRD VIEL INVESTIERT 

Text: Frank Heike
Foto: Frank Molter

http://www.hamburger-sportbund.de/personen/2639/elena-dergatcheva

Elena Dergatcheva ist mit dem Verein Tanzbrücke Hamburg aufgewachsen und leitet längst selbst Kindertanzkurse

„Ayleen, du bist zu spät!“ Wirklich? Auf das ungeübte Auge wirken ihre Bewegungen im Einklang, und Ayleen tanzt ebenso gut wie die anderen Mädchen. Scheinbar. Elena Dergatcheva sieht das anders. Sie muss das anders sehen – strenger. Denn auch diese Gruppe Erst- und Zweitklässlerinnen möchte irgendwann auf die große Bühne. Also müssen sie üben. Viel üben. Und Korrekturen hinnehmen.

„Sie sind alle konzentriert“, sagt Elena über die acht Jahre alten Mädchen, die sie an diesem schönen Spätsommerabend bei geöffnetem Fenster trainiert, „aber wie gut sie gerade sind, hängt davon ab, ob sie gut gelaunt sind.“ Deswegen muss sie manchmal eingreifen und vor allem die Synchronität der Bewegungen jeder Einzelnen und das Zusammenspiel der Tanzgruppe im Blick haben. Das Problem dabei: Wenn Elena etwas vormacht, sieht das spielerisch-leicht aus. Wenn die Mädchen es nachmachen sollen, bemerken sie, dass – wie in allen Sportarten – das Leichte in Wirklichkeit das Schwere ist. Man kann das weiterdrehen, und bekommt den Nachweis dafür, wenn man mit der 26 Jahre alten Elena und ihrer 51 Jahre alten Mutter Natalia bei Tee und Keksen im Raum St. Petersburg zusammensitzt (an der hinteren Wand hängt eine große geographische Karte Russlands, denn dieser Raum ist in Wirklichkeit ein Klassenzimmer): Wer ist die bessere Tänzerin, Elena? „Mama ist einfach besser“, antwortet Elena und ignoriert die höflichen Einwände ihrer Mutter. Wahrscheinlich wird Elena Dergatcheva das, was bei ihrer Mutter im Tanzen leicht aussieht, auch schwer vorkommen – insofern ist sie die perfekte Lehrerin für den Verein Tanzbrücke Hamburg, den es seit 19 Jahren gibt.

Elena ist mehr als „nur“ Tanzlehrerin. Sie studiert an der Hafencity-Universität Stadtplanung und engagiert sich seit zwei Jahren als Botschafterin des Sports bei der Tanzbrücke. Sie hat die Ausbildung zur Multiplikatorin beim HSB durchlaufen und kümmert sich nun um die Vernetzungsarbeit des Vereins. Natürlich tritt sie auch selbst als Tänzerin auf.

Die Tanzbrücke ist ein multiethnischer Verein, der besonders viele seiner fast 200 Mitglieder aus der früheren GUS hat – Elenas Mutter Natalia stammt aus St. Petersburg. Elena ist dort geboren, als Sechsjährige nach Hamburg gezogen und mit dem ständig erweiterten Angebot des Vereins buchstäblich aufgewachsen: Sprachförderung, Kunstunterricht, Sport für Kinder, Sport für Erwachsene, Musik sowie Mathe- und Naturwissenschaftsunterricht bietet die Tanzbrücke an und ist in dieser Misch-Form aus Bildung und Bewegung in Hamburg einmalig.

In „Ihren“ Kindern der jeweiligen Tanzklasse sieht Elena dabei etwas ganz Besonderes: „Hier bei uns wird in jedes Kind sehr viel investiert“, sagt sie, „wir kämpfen für jedes Kind und seine Chancen. Wir holen im Training alles raus.“ Niveauunterschiede findet Elena Dergatcheva nicht schlimm, sondern normal. Bereichernd ist neuerdings die Arbeit mit Flüchtlingen. „Wir haben sehr viele Migranten, jetzt kommen eben auch Flüchtlinge hinzu“, sagt sie. In den Unterkünften im Wiesendamm und in der Straßburger Straße/Krausestraße hat Elena für das Angebot der Tanzbrücke geworben. Bei den kleinen Tänzern und im Selbstverteidigungskurs sind einige geflohene Kinder dabei. „Sie fühlen sich bei uns wohl, das merkt man“, sagt Elena. Geholfen hat auch Mundpropaganda. Bei den Erwachsenen stockt es noch. Obwohl Elena die Unterkünfte schon drei-, viermal aufgesucht hat. Dabei sind die Kurse unentgeltlich, und die Mitglieder der Tanzbrücke holen die potentiellen Teilnehmer aus den Unterkünften ab. Entmutigen lassen sich Elena und ihre Mutter davon nicht. Sie haben auch so genug zu tun, viele Ziele und Vorhaben. „Die Flüchtlinge von vor 20 Jahren sind jetzt Deutsche“, sagt Elena, die in Eidelstedt wohnt.

Der tänzerische Ansatz des Vereins beginnt schon sehr früh. „Mit der Mini-Tanzbrücke sprechen wir Kinder an, die noch gar nicht zur Schule gehen“, erklärt Elena. „Die Nachfrage ist sehr, sehr groß. Wir überfordern die Kinder dabei nicht. Jede Stunde dauert 30 bis 40 Minuten und ist sehr spielerisch.“ Wenn ihre Ansage lautet: „Wir gehen wie ein Bär“, kann selbst eine Dreijährige etwas damit anfangen.

Aus ganz Hamburg, dem südlichen Schleswig-Holstein und dem nördlichen Niedersachsen kommen kleine Tänzerinnen und Tänzer, bis zu 70 Kilometer weit fahren sie (eine Strecke), um mit Elena und den anderen Tanzlehrern der Tanzbrücke zu trainieren.

Wenn sie beim Familienbesuch in St. Petersburg von ihrer Arbeit für die Tanzbrücke erzählt, erntet Elena meist staunende Blicke: „Die meisten können sich nicht vorstellen, was wir hier machen.“ Dann erzählt Elena gern die Geschichte, wie der Zusammenhalt in der Tanzbrücke über die Kinder wächst: „Wenn die Kinder hier zum Unterricht kommen, wollen die Eltern auch etwas machen. Also haben wir auch Angebote für die Eltern wie Ballett und Bauchtanz entwickelt.“ Dass die Tanzbrücke dabei auch ein Stück deutsch-russische Völkerverständigung ist, versteht sich für Elena und Natalia Dergatcheva von selbst.

Zurück in ihrer Trainingsgruppe der Sieben- bis Achtjährigen, ist Elena Dergatcheva nicht streng, aber so zielstrebig, wie es sich als Trainerin gehört, haben die Mädchen doch ein gewisses Tanzniveau und schon einige Auftritte hinter sich. „Mit welcher Seite haken wir uns ein?“, fragt sie in die Gruppe. Die meisten wissen es, trocken. Wenn es dann aber losgeht mit Musik, machen es andere doch wieder falsch. Elena lächelt: „Geht mal einen Schluck trinken!“, ruft sie der Gruppe zu. In fünf Minuten ist die Stunde zu Ende. Da lässt die Konzentration eben nach.

 

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